KI-Anwendungsfälle von After Sales bis Zielgruppenselektion

In kaum einer anderen Branche lassen sich durch die Kombination neuer Technologien und vorhandener Daten so viele interessante Anwendungsfälle ableiten wie in der Produktion. Für künstliche Intelligenz etwa lassen sich Einsatzmöglichkeiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette finden, von der ersten Produktidee bis hin zur Wartung.
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Ausgangspunkt für KI-Projekte sind stets Daten. Sie sind der Rohstoff. Durch verbaute Sensoren an Maschinen und Produkten entstehen im produzierenden Gewerbe permanent Daten. Als weitere Quellen kommen Datenströme zwischen Unternehmenseinheiten, Lieferanten und Kunden hinzu. Für die Unternehmen geht es darum, diese zu bündeln und verfügbar zu machen – unter Achtung aller Vorgaben zum Datenschutz.

Der Rohstoff für KI

Was KI exakt ist, ist letztlich nicht klar definiert. In diesem Zusammenhang wird KI daher pragmatisch als ein Teilgebiet der Informatik definiert, das sich mit der Abbildung intelligenten menschlichen Verhaltens durch IT befasst. Übertragen auf Anwendungsfälle bedeutet das, dass in KI-Systemen Modelle entstehen, die bestimmte Aufgaben selbstständig lösen. Dem Feld der KI lässt sich ein breites Set an Methoden, Verfahren und Technologien zuordnen.

Für die unten aufgeführten Anwendungsfälle sind insbesondere die Teilgebiete Machine Learning und Deep Learning relevant. Machine Learning ist die Fähigkeit, auf Basis von Daten ein Modell zu erlernen. Selbstlernende Algorithmen entwickeln dabei aus Trainingsdaten Regeln, anhand derer das System eigenständig in großen Datenmengen Muster identifiziert. Deep Learning ist eine Disziplin des Machine Learnings, die in sogenannten neuronalen Netzen mit mehreren, hintereinander geschalteten Schichten komplexere Zusammenhänge erkennt.

Diese Methode ist der Wegbereiter für KI-Verfahren wie der Bildkennung, die es Systemen erlaubt, ihre Umgebung zu beobachten. Auch für die Umwandlung gesprochener Worte und Sätze zu geschriebenem Text oder andersherum (Text-to-Voice / Voice-to-Text) sowie für die Algorithmus-basierte Textanalyse (Text-Mining) ist Deep Learning der Wegbereiter.

Wie sich diese Methoden und Verfahren von Unternehmen des produzierenden Gewerbes einsetzen lassen, zeigen die folgenden Anwendungsfälle. Der Fokus liegt auf den Unternehmensbereichen Forschung und Entwicklung (F&E), Produktion, Supply Chain Management (SCM) und Sales / After-Sales.

In der Forschung und Entwicklung

KI-Lösungen im Bereich F&E ermöglichen das datengetriebene Gestalten von Produkten. Mit KI ist es praktisch so, als schauten F&E-Experten den Kunden über die Schulter. Wann, wie oft und wie intensiv ein Kunde eine Maschine nutzt, verrät eine Auswertung der Einsatzdaten, die über Sensoren gewonnen werden. Bündelt ein Hersteller diese Daten, kann er mittels Machine Learning Nutzergruppen innerhalb der Kundschaft identifizieren und in die Produktentwicklung einfließen lassen. Beispiel Bohrmaschine: Viele Kunden nutzen diese nur selten und kurz, ein kleines Cluster hingegen lang und oft bei maximaler Leistung. Fließt diese Erkenntnis in die Produktentwicklung ein, könnte die neue Bohrmaschinen-Generation aus weniger leistungsstarken Bauteilen bestehen, ergänzt um eine leistungsstärkere Profi-Variante.

Logistik und Intralogistik bieten viele Möglichkeiten für den KI-Einsatz
Logistik und Intralogistik bieten viele Möglichkeiten für den KI-EinsatzBild: ©Connect world/stock.adobe.com

Im Fall gänzlich neuer Produkte hilft KI ebenfalls, etwa mit aufwendigen Simulationen. Ein Anwendungsfall, der insbesondere für die chemische Industrie interessant ist. Hier sind vorab Produkteigenschaften wie Langlebigkeit oder Reaktionen auf Umweltbedingungen gewünscht. In klassischen F&E-Projekten führten Forscher dazu umfangreiche Labortests durch. Mit maschinellem Lernen können KI-Anwendungen diesen Prozess simulieren. Besonders vielversprechende Stoffkombinationen nehmen die Forscher näher unter die Lupe, die Datennutzung reduziert jedoch den Aufwand und nutzt Ressourcen effizienter.

In der Werkhalle

In der Produktion schlägt das Herz der Fertigungsindustrie. Hier schaffen Unternehmen Werte. Seit jeher optimieren Betriebe ihre Produktionsabläufe, um einen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern zu erreichen. KI-Anwendungen helfen dabei. Ein Beispiel sind digitale Assistenten, die das Personal unterstützen. Aufgrund des Fachkräftemangels müssen Unternehmen oftmals personelle Engpässe ausgleichen. Umso wichtiger ist ihr flexibler Einsatz. KI-gestützte digitale Assistenten erleichtern dies.

Dahinterliegende Systeme werden mit Daten aus echten Arbeitsabläufen trainiert, etwa Kameraaufnahmen von Handgriffen oder Werkzeugen. Durch eine Mustererkennung und -analyse ist es in der Lage, Arbeitsschritte zu identifizieren und Mitarbeitenden bei Bedarf zu assistieren. Sie lernen unbekannte Arbeitsabläufe und Systeme so schneller kennen. Die Anleitung des virtuellen Coaches erfolgt mittels Text-to-Voice- oder Voice-to-Text-Lösungen – ebenfalls KI-Anwendungen.

Artikelnummer, Farbcode, Lagerort: In den Stammdaten sind alle einem Produkt zugehörigen Attribute und Varianten hinterlegt. Damit komplex gestaltete Produktionsabläufe reibungslos funktionieren, sind korrekte Stammdaten wichtig. Falschangaben können von Ärgernissen wie einem falsch ausgegebenen Lagerplatz bis hin zu kostspieligen Fehlproduktionen führen. In wachsenden Datenbergen wird die Pflege jedoch zur Herausforderung. KI hilft, die Situation in den Griff zu bekommen.

Künstliche Intelligenz kann Anomalien in den Produktstammdaten erkennen. Trainiert mit den vorhandenen Stammdaten identifiziert die Anwendung auffällige Muster. Dies kann eine vierstellige Postleitzahl im Datenstamm eines deutschen Lieferanten sein. Aber auch falsche Maße oder Gewichtsangaben einzelner Komponenten, die im Zweifel fehlerhafte Endprodukte verursachen, kann KI aufspüren. Unterm Strich stehen ein reduzierter Pflegeaufwand, eine gesunkene Fehleranfälligkeit und leichtere Produktkonfigurationen.

KI im Supply Chain Management

Eine durch das Supply Chain Management strategisch optimierte Lieferkette ist wichtig für den Unternehmenserfolg. KI ist auf unterschiedlichen Stufen der Lieferkette einsetzbar. Bereits bei der Rohstoffbeschaffung hilft sie mit Preisprognosen. Diese sind bei Rohstoffen sehr volatil und unterliegen zahlreichen Einflussfaktoren. Für Unternehmen der Fertigungsindustrie haben deshalb Analysten und Einkäufer den Markt stetig im Blick.

Um die bestmögliche Kaufgelegenheit zu bestimmen, ist KI ebenfalls nützlich. Sie erfasst Parameter wie historische Preis- und Marktdaten, Bestellungen, Konjunkturprognosen oder geopolitische Krisen als Daten. Mittels Deep-Learning-Verfahren sucht das System in diesen Daten Muster, die ehemalige Preisschwankungen erklären und zukünftige Entwicklung prognostizieren. Unternehmen gelingt es so, Einkaufszeitpunkte und -mengen automatisch zu optimieren.

Weitere Aufgabe des SCM ist es, Logistikprozesse zu organisieren. Hakt es in der Logistik, steht irgendwann die Produktion still. Der gewachsenen Komplexität in der Lieferkette begegnen Unternehmen mit automatisierten Abläufen in der Intralogistik. Mittels KI-Anwendungen erweitern sich dabei die Möglichkeiten. Einerseits automatisieren sie weitere Prozessschritte, andererseits erhöhen sie die Effizienz bestehender. Grundlage dazu sind Daten, die etwa aus Warehouse-Management-Systemen oder Sensoren entlang der Transportwege stammen. Angelernte KI-Lösungen erkennen eigenständig, ob die richtigen Waren an den richtigen Stellen in der richtigen Menge vorhanden sind. Beispielsweise bestellen sie unter Berücksichtigung unzähliger Faktoren eigenständig Ware nach.

KI im Sales/After Sales

Im Unternehmensbereich Sales/After-Sales spielt seit jeher der persönliche Austausch eine große Rolle. Bei diesen zwischenmenschlichen Themen sind KI-Lösungen meist nicht die erste Wahl. Dennoch leisten sie wertvolle Unterstützung. Sie helfen etwa Vertriebsmitarbeitern bei der Recherche nach Absatzpotenzialen. Möglich macht das die Auswertung von Datenquellen per Text-Mining und Mustererkennung. Diese Verfahren analysieren das CRM-System samt Informationen wie Kaufhistorie oder schriftlichem Austausch mit dem Service. Ebenso lassen sich externe Datenquellen nutzen, die je nach Geschäftsmodell unterschiedlich sind.

Ein Automobilhersteller etwa nutzt für Angebote von Winterreifen lokale Wetterprognosen. Mit dem jeweiligen Datenset trainieren Experten die KI, sodass diese automatisch Käufergruppen identifiziert. Vertriebsmitarbeiter können damit die Kundenansprache konkreter und damit vielversprechender gestalten.

Im Bereich After Sales ist das Thema vorausschauende Wartung fast schon ein moderner Klassiker. Mit Predictive Maintenance sind Unternehmen in der Lage, den Zustand von Maschinen detailliert zu erfassen und den Wartungsbedarf individuell zu prognostizieren. Bislang orientierten sich Betreiber an starren Vorgaben wie Zeitraum oder Laufleistung.

KI-Anwendungen hingegen erkennen in den Betriebsdaten von der Norm abweichende Muster und damit baldige Betriebsprobleme. Ist dies der Fall, weist das System auf den Wartungsbedarf hin. Das ebnet den Unternehmen den Weg zu weniger Stillstandzeiten und höherer Auslastung von Werkstätten und Servicetechnikern.

Auf die Adaption kommt es an

Die Ausführungen und die Bandbreite möglicher Einsatzgebiete zeigen: KI-Technologien offerieren Unternehmen im produzierenden Gewerbe zahlreiche Möglichkeiten zum Verbessern, Kosteneinsparen und Neugestalten. Kleine und mittlere Unternehmen könnten mittels KI und dem damit verknüpften Automatisierungspotenzial sogar personelle oder finanzielle Ressourcennachteile ausgleichen.

Entscheidend ist, dass Unternehmen passende Lösungen für ihre individuelle Situation finden. Das gelingt am ehesten durch einen abteilungsübergreifenden Austausch. Nur wenn Fach- und IT-Wissen zusammenkommen, lassen sich relevante Daten zusammenführen und sinnvolle Ansatzpunkte für KI-Lösungen identifizieren.

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