Eric Brabänder von Empolis Information Management:

„KI-basierte Anwendungsfälle out of the box“

Im Februar hatte der Lösungsanbieter Empolis rund um cloudbasiertes Wissensmanagement die Akquisition von Intelligent Views bekanntgegeben - inklusive der KI-gestützten Knowledge-Graph-Technologie. Wir haben in beiden Firmen nachgefragt, wie Wissensmanagement und künstliche Intelligenz zusammenpassen.

Empolis ist vor allem für ihre Wissensmanagement-Lösungen bekannt. Was leistet künstliche Intelligenz bei der Analyse von Big Data und schwach strukturierten Daten?

Eric Brabänder ist Chief Product Officer und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Empolis Information Management GmbH Bild: Empolis Information Management GmbH

Strukturierte Informationen aus großen Mengen unstrukturierter Daten zu gewinnen ist eine hervorragende Aufgabe für künstliche Intelligenz. Seit einigen Jahren verstehen darunter aber viele Leute einfach, dass man die Daten einem neuronalen Netz in die Hand drückt und dann sofort ‚Insights‘ bekommt. Das funktioniert tatsächlich für einige Arten von Daten gut, wenn man genau die Frage hat, die das neuronale Netz auch beantworten kann. Unsere Kunden möchten jedoch aus ihren Daten meistens Dinge in Erfahrung bringen, für deren Erkennung es noch gar kein neuronales Netz gibt. Meistens gibt es dafür auch nicht annähernd genug Trainingsdaten, um ein solches Netz zu bauen. Gerade im Maschinen- und Anlagenbau handelt es sich um komplexe Produkte, die in ihrem Wirkzusammenhang wissensintensiv sind, aber nicht immer ausreichend Daten zur Verfügung stellen, um Machine-Learning-Verfahren einzusetzen. So gibt es von manchen Störfällen überhaupt keine oder nicht ausreichend Daten, gerade weil man sie vermeiden möchte. Etwa im Automobilbereich, bei Seilbahnen oder im Flugverkehr, wenn Ausfälle Menschenleben in Gefahr bringen könnten. Es trifft aber auch auf Anlagen zu, die es so nur einmal gibt oder die in unzähligen Konfigurationsvarianten verfügbar sind, sodass die erzeugten Daten nicht generalisierbar sind. Das bedeutet, man muss neben reinen Machine-Learning-Verfahren auch sogenannte wissensbasierte KI-Verfahren einsetzen. Wir gehen damit auf zweierlei Wegen um: Zum einen setzen wir hier ganz klassische regelbasierte Verfahren der künstlichen Intelligenz ein. Diese sind ungemein effizient und auch bei wenigen Trainingsdaten schnell einsetzbar. Zum anderen bauen wir speziell für Daten aus dem technischen Service auch eigene Trainingskorpora auf und nutzen bspw. Verfahren aus dem Transfer Learning, um häufig auftretende Muster aus der Servicedomäne auch in selbstlernenden Verfahren erkennen zu können, zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Fehlersymptomen, Ursachen und notwendigen Wartungshandlungen. Dann spielen auch Knowledge-Graphen eine wichtige Rolle, weil sie den Rahmen vorgeben, in den sich die Informationen aus den Daten einfügen müssen und in dem sie validiert werden können.

Klaus Reichenberger, Geschäftsführer der Intelligent Views GmbH
Bild: Empolis Information Management GmbH

Warum haben Sie Intelligent Views nach langjähriger Zusammenarbeit erworben?

Während Intelligent Views mit der Knowledge-Graphen-Technologie die intelligente Modellierung und Repräsentation umfangreicher und komplexer Wissensstrukturen beherrscht, vervollständigt Empolis das Leistungsangebot mit seinem langjährigen KI-Know-how sowie den leistungsfähigen Analyse- und Suchverfahren in großen Datenmengen und schwach strukturierten Daten. Einfach ausgedrückt: Mit der Kombination beider Lösungen können Unternehmen Zusammenhänge in ihren Daten besser erkennen und diese anschließend intelligent und performant durchsuchen. Gerade diese Fähigkeiten spielen in der Industrie sowie im wissensintensiven Maschinen- und Anlagebau eine entscheidende Rolle, wenn es um Industrial-IoT-Lösungen, neue digitale Geschäftsmodelle und Smart Services geht.

Ihren Nutzern versprechen Sie nach der Akquisition neue Anwendungsfälle, gerade mit Blick auf Vertrieb und Service. Können Sie bereits konkreter werden?

Vertrieb und Service sind im Bereich von Maschinen und Anlagen ausgesprochen wissensintensive Bereiche. Wenn wir hier digitalisieren wollen, müssen wir auch das Wissen rund um die Produkte digital abbilden, z.B. in einem Knowledge-Graph. Mit diesem vernetzten Produktwissen können Hersteller erklärungsbedürftiger Produkte auch in den digitalen Kanälen besser auf ihre Kunden zugehen. Dieser beschreibt beispielsweise seinen Anwendungsfall und der Knowledge-Graph identifiziert die passende Maschine, schlägt passendes Zubehör vor oder erlaubt es dem Kunden, die optimale Konfiguration der Maschine direkt durchzuspielen. Das Wichtige dabei: Alle Instrumente der Kundeninteraktion, egal ob Selektoren, Konfiguratoren und Chatbots werden so aus einer zentralen Quelle, aus dem digitalen Zwilling des Produkts, heraus gefüttert. Genauso hilfreich ist der digitale Zwilling im Service – ob wir eine individualisierte, genau auf eine spezifische Maschine zugeschnittene Inbetriebnahme-Anleitung generieren, einen Wartungseinsatz vorab simulieren oder im Störungsfall die Ursache diagnostizieren. Gerade der Service ist sehr darauf angewiesen, dass alles Wissen aus vorherigen Phasen des Product Lifecycle punktgenau zur Verfügung steht: Wie ist die Maschine aufgebaut? Welche möglichen Ursachen für den vorliegenden Fehler sind bereits bekannt, welche kommen häufig vor? Welche Teile von welchen Lieferanten sind unter welchen Einsatzbedingungen anfällig? Welche Komponenten wurden bereits ausgetauscht oder ersetzt und welche Auswirkung hat das auf mögliche Fehlerbilder beim Service einer Maschine?

Wie sieht Ihr Konzept für den digitalen Zwilling aus?

Unser Konzept für den digitalen Zwilling stellt die Integration der Informationen in den Mittelpunkt. Wir dürfen wichtige Informationen nicht in weiteren Silos verstecken, indem wir viele kleine Zwillinge bauen: Einen, um zu simulieren, wieviel Wärme unser neuer Motor unter unterschiedlichen Lastszenarien hat, einen anderen für die Geräuschentwicklung. Noch einen, um zu ermitteln, welche Auswirkungen der Wechsel einer Komponente für Leistung hat, und noch einen für Prognosen über Betriebsverhalten und Verschleiß et cetera. Um all diese Information zusammenzuhalten, brauchen wir neben offenen Schnittstellen auch ein umfassendes Wissensmodell, das alle Aspekte einer Maschine abdecken kann. Hier kommt die Stärke des Knowledge Graphen ins Spiel, beliebige Informationen zu integrieren und Schlüsse daraus zu ziehen. Wir wollen die ganzen angeschlossen Informationsquellen, vom Aufbruch der Maschine bis zu den Sensordaten, die geliefert werden, ja nicht lediglich anhäufen. Wir wollen sie zusammenführen, vernetzen, Zusammenhänge im Kontext verstehen und analysieren. Wir wollen einen digitalen Zwilling schaffen, mit dem wir Konfigurationen und Wartungsvorgänge, Anschlüsse an andere Teile einer Anlage durchspielen können. Dabei dürfen wir auch das Wissen der Mitarbeiter nicht vernachlässigen. Nicht alles, was für die optimale Konfiguration, Einstellung, Wartung und Reparatur einer Maschine wichtig ist, findet sich bereits in strukturierter Form in den Systemen des Unternehmens. Wir brauchen also Konzepte und Tools, die uns dabei helfen, dieses Wissen verfügbar zu machen. Und schließlich braucht es auch Erfahrung.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für die neuen Anwendungsfälle und Lösungen?

Im technischen Service ist das eine sehr einfache Rechnung: Die Maschinen werden immer komplexer und variantenreicher, die verbauten Teile kommen von immer mehr Zulieferern und die Erneuerungszyklen werden kürzer. Demgegenüber stehen aber schon aufgrund der Altersstruktur immer weniger Servicetechniker, die das umfassende Know-how über alle Maschinen im wachsenden Portfolio mitbringen und sich um Wartung und Problembehebung kümmern können. Wenn man die Servicequalität unter diesen Bedingungen hochhalten möchte, geht das nur über Automatisierung und Digitalisierung von Wissen. Und Automatisierung braucht in vielen Fällen künstliche Intelligenz, um auf die Umgebung reagieren zu können. Der Vorteil unserer Herangehensweise ist das sehr breite Verständnis von künstlicher Intelligenz. Künstliche Intelligenz umfasst ja eine große Menge sehr unterschiedlicher Verfahren. Empolis richtet den Fokus jedoch nicht nur auf die KI-Technologie, sondern liefert gleich KI-basierte Anwendungsfälle ‚out of the box‘ als Software as a Service. Für die Analyse von Servicefällen und technischen Dokumenten verwenden wir semantische Verfahren und neuronale Netze, für die Diagnostik und geführte Fehlersuche kommen regelbasierte Expertensysteme zum Einsatz, für bildbasierte Komponentenerkennung Machine-Learning-Verfahren und für den Aufbau von Wissensmodellen und kundenspezifischer Begriffswelten setzen wir Knowledge-Graphen ein. Unsere Anwender erhalten Lösungen, die sie schnell mit ihrem eigenen Daten ‚live‘ schalten können, z.B. eine Wissensdatenbank für ihre Servicetechniker, automatische Diagnosesysteme und geführte Fehlersuchen, eine Field-Service-App, ein Self-Service-Portal für Kunden und Partner oder ein Chatbot-System. Alle diese Anwendungsfälle nutzen die zugrundeliegende KI-Verfahren der Empolis-Plattform für den Service.

Wann ist mit den neuen Produkten zu rechnen?

Aufgrund der jahrelangen Zusammenarbeit zwischen Intelligent Views und Empolis können Unternehmen der produzierenden Industrie bereits jetzt das erste gemeinsame Produkt als Knowledge-Graph-Komponente in der SaaS-Lösung Empolis Service Express einsetzen. Im Jahresverlauf werden die Funktionen in Empolis Service Express basierend auf der Knowledge-Graph-Technologie weiter ausgebaut. Gleichzeitig wird die Technologie von i-views auch in die KI-Plattform von Empolis integriert. So können unsere Anwender und Partner eigene Lösungen mit dem Knowledge-Graphen auf Basis der Application Platform-as-a-Service entwickeln. Zudem bieten wir bereits speziellere Anwendungsfälle auf Basis der Plattform als Kundenprojekt an.

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