Schwache KI, starker Effekt

Resiliente Lieferkette durch Prognosen

Unvorhergesehene Ereignisse können die Lieferkette beeinträchtigen oder sie sogar lahmlegen. Da regionale bis globale Entwicklungen darauf hindeuten, dass die Zahl meist unliebsamer Überraschungen eher zunehmen dürfte, steigt auch die Bedeutung der Resilienz einer Lieferkette. Diese Widerstandsfähigkeit lässt sich mit künstlicher Intelligenz stärken.
Bild: ©Kovalenko I/stock.adobe.com

Lieferketten lassen sich als Netzwerke und Organisationen betrachten, die über vor- und nachgelagerte Verbindungen an verschiedenen Prozessen und Tätigkeiten der Wertschöpfung in Form von Produkten und Dienstleistungen beteiligt sind. Sie reichen von den Rohstofflieferanten bis zu den Endkunden. Unter Resilienz ist in diesem Kontext zuverstehen, dass Lieferketten Störungen, Änderungen und Unterbrechungen flexibel aufnehmen, sich an sie anpassen und ihren ursprünglichen Zustand wieder herstellen können. So sorgt die Resilienz dafür, dass Aufträge trotz unvorhergesehener Ereignisse vertragsgemäß erledigt werden und Lieferketten ohne Leistungseinbußen oder im Idealfall mit verbesserter Leistung weiter operieren.

Angebot und Nachfrage

Ein gutes Beispiel bot zum Beginn der Covid-19-Pandemie vor dem ersten Lockdown die sprunghaft angestiegene Nachfrage nach Toilettenpapier. Hier gab es unvorhersehbare Veränderungen auf der Kundenseite, auf die von den produzierenden Unternehmen rein planerisch kaum adäquat reagiert werden konnte. Ein anderes Beispiel wäre ein Handelsunternehmen, das etwa Zubehörteile oder Fertigprodukte bei Lieferanten bestellt und zum Verkauf anbietet. Hier gibt es eine Kundenseite, auf der eine Nachfrageunsicherheit besteht. Es gibt weitere Unsicherheiten aufgrund disruptiver Ereignisse wie Naturkatastrophen sowie Unsicherheiten, die von saisonalen Bedingungen oder neuen Trends abhängen. Dazu gesellen sich Lieferunsicherheiten. So können Lieferanten wegen Kapazitätsengpässen Lieferschwierigkeiten haben, sodass die Lieferzeiten plötzlich schwanken und Produkte nur verzögert oder in Teilmengen ausgeliefert werden können. Nicht zu vergessen sind auch die Probleme, die beim Transport auftreten können. Grenzkontrollen oder gar -schließungen im Zuge der Pandemie oder des Brexits sind aktuelle Beispiele.

Schwache KI wirkt bereits

In der Vergangenheit versuchten Experten häufig, große Lösungen zu schaffen, indem sie Computersysteme schufen, die auf Augenhöhe mit Menschen schwierige Aufgaben übernehmen sollten. Wegen der mit dieser sogenannten starken künstlichen Intelligenz verbundenen Komplexität, waren diese Versuche allerdings nicht sehr erfolgreich. Daher ist der Fokus heute eher auf die schwache künstliche Intelligenz gerichtet, also auf die Entwicklung von Computersystemen, die konkrete Anwendungsprobleme bewältigen und das menschliche Denken und die technischen Anforderungen in Einzelbereichen unterstützen können. Das hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, da einmal die Rechenkapazitäten enorm zugenommen haben und dadurch völlig andere Berechnungsmöglichkeiten bestehen. Zum anderen besteht heute eine wesentlich stärkere Vernetzung über hoch qualitative Internetverbindungen, sodass große Teile der Rechenprozesse in der Cloud ablaufen können. Das flexibilisiert die Berechnungsmöglichkeiten enorm. Zumal so auch Unternehmen auf die Rechenkraft zugreifen können, die keinen eigenen Serverpark betreiben.

Prognosen im Hintergrund

Einen wichtigen Teil der Resilienz einer Lieferkette stellt heute die Prognose dar. Etwa eine Prognose in die Zukunft, wie sich die Kunden eines Unternehmens verhalten, wie sie Produkte in naher Zukunft kaufen und wie das Unternehmen daraufhin agieren und reagieren kann, etwa indem es Bestellungen rechtzeitig ordert oder storniert. Auf diese Weise können Unsicherheiten oder Störungen nicht gänzlich ausgeschaltet, aber die Resilienz einer Supply Chain doch erheblich gesteigert werden.

Überwachtes Lernen

Solche Prognose lassen sich mithilfe künstlicher Intelligenz hervorragend erstellen. Die Nachfrageunsicherheiten können von sehr vielen Variablen abhängen, die bereits aus der Vergangenheit bekannt sind. Das Wetter, die Jahreszeiten oder wirtschaftliche Trends können dabei eine Rolle spielen. Weiter kennen Unternehmen häufig Zusammenhänge zwischen der Nachfrage und diesen Einflussgrößen. Es existiert also eine Historie für Bedarfe und die Ausprägung der Variablen. Nun lässt sich im Rahmen einer KI durch überwachtes Lernen auch der Zusammenhang zwischen Eingabegrößen und Ergebnisgrößen lernen.

Ergebnisgüte validiert

Schließlich können die Spezialisten im sogenannten Backtest die Historie über einen Zeitraum von fünf Jahren betrachten. Daraus nehmen sie drei Jahre, um Zusammenhänge zu lernen und die nächsten zwei Jahre, um das erlernte Ergebnis zu testen. Die Länge dieses Zeitraums und damit auch der Umfang der Datenbasis hängen aber stark vom Prognosezeitraum ab. Für die Prognose von einer Woche reicht auch eine Bedarfshistorie von einem Jahr. So entsteht ein Prognosemodell, mit dem sich – basierend auf den Variablen – bei fortlaufender Aktualisierung Prognosen für die Zukunft ableiten lassen. Bedarfsprognosen können dann etwa kundenseitige Nachfrageunsicherheiten reduzieren. Algorithmen aus der KI stärken also auf vielfältige Weise die Resilienz einer Lieferkette. Die Prognosemodelle sind grundsätzlich flexibel konfigurierbar. Die Gewichtung der Historie lässt sich beispielsweise verändern und das Modell neu trainieren.

Zunächst die Datenbasis

Bei dem IT-Dienstleister Cosmo Consult Data & Analytics beginnen Kundenprojekt grundsätzlich damit, die Menge und Qualität der Daten zu bewerten, die der Anwender zur Verfügung stellen kann. Häufig stehen nicht alle Daten zur Verfügung, die zur Problemlösung erfoderlich sind. Dann stehen die IT-Spezialisten vor der häufig schwierigen Aufgabe, eine Lösung zu finden, die fehlende Informationen abzuleiten. Typischerweise ist das ein Problem bei Artikeln, die gerade ins Sortiment aufgenommen wurden und über die es noch keine Nachfragehistorie geben kann. Eine Möglichkeit besteht darin, ähnliche, seit längerem vorhandene Artikel zu betrachten und ihre Historie nach einigen Wochen mit dem Verkaufsverhalten der neuen Artikel zu vergleichen. Je länger dieser Vergleich läuft und je öfter die Berechnungen aktualisiert werden, desto genauer wird die Prognose. Neben der Datenvalidierung werden mit dem Anwender auch seine Anforderungen besprochen und ihm werden Potenziale aufgezeigt. Außerdem wird der Informationsbedarf wie Lieferanteninformationen, Lieferantenkonditionen, Lieferzeiten und ähnliches definiert.

Schließlich immer individuell

Nach der Datenbereinigung und Analyse können die Spezialisten beim Microsoft-Partner Cosmo Consult verschiedene Prognoseverfahren und Module aus dem Werkzeugkasten holen. Die Verfahren und Module lassen sich einzeln und kombiniert einsetzen, auf jeden Fall werden sie maßgeschneidert und mit Parametern konfiguriert. Dabei ist auch Erfahrungswissen gefragt, um möglichst gute Prognoseergebnisse zu erzielen. Neben den spezifisch auf den Anwender ausgerichteten und angepassten Prognoseverfahren gibt es Module, die Anwender für bestimmte Zwecke einsetzen können. So gibt es neben einem Prognosemodul auch ein Bestands- und Bestelloptimierungsmodul oder in anderen Bereichen Module zur Produktionsplanung oder Reihenfolgeoptimierung von Aufträgen. Beziehen lassen sich diese Module auch als Cloud-basierte Dienstleistungen. Richtig eingesetzt tragen all diese Werkzeuge dazu bei, eine Supply Chain dauerhaft und flexibel resilienter zu machen.

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