Klassisches Engineering zeichnet sich durch Planbarkeit aus: Entwickler wissen schon in der Entwurfsphase, wie sich die einzelnen Komponenten und damit auch das Gesamtsystem später einmal verhalten werden. Systeme mit Bestandteilen künstlicher Intelligenz (KI) oder maschinellen Lernens (ML) sind nicht so vorhersehbar; datengetrieben entwickeln sie sich während ihrer Laufzeit weiter und entfalten erst im Betrieb ihre finale Funktionalität. Für die sichere Beherrschung von Ausnahmesituationen ist dies eine große Herausforderung – und auch der wirtschaftliche Nutzen ist vorab kaum bezifferbar. Ohne die Kalkulierbarkeit des klassischen Engineerings gestaltet sich der Einsatz intelligenter Systeme für Unternehmen deshalb schwierig.
Das „Kompetenzzentrum für KI-Engineering“ (CC-King) vereint die informationstechnische und ingenieurwissenschaftliche Kompetenz des Standorts Karlsruhe, um den KI-Einsatz in der Praxis entscheidend zu erleichtern: Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, das FZI Forschungszentrum Informatik und das KIT forschen in engem Kontakt mit Unternehmen an grundlegenden Fragen, praxistauglichen Methoden und konkreten Anwendungsproblemen.
Grundsätzliche methodische Fragestellungen
Die (Un-)Vorhersehbarkeit des Verhaltens lernender Systeme ist ein zentrales Thema des KI-Engineering. „KI-Engineering hat zum Ziel, KI und ML ingenieursmäßig nutzbar zu machen, vergleichbar dem klassischen Engineering. Es handelt sich dabei um eine ganz junge Disziplin, die die Brücke schlägt zwischen KI-Grundlagenforschung und Ingenieurswissenschaften“, sagt Professor Jürgen Beyerer, wissenschaftlicher Direktor des Kompetenzzentrums, Institutsleiter des Fraunhofer IOSB und Professor am KIT. „Neben der Vorhersehbarkeit stehen dabei etwa auch die Sicherheit KI-basierter Systeme, die Erklärbarkeit von Entscheidungen oder die Einbindung von Vor- und Expertenwissen in datengetriebene Ansätze im Fokus der Forschenden.“ Ziel sei, ein Standard-Vorgehensmodell für KI-Engineering zu entwickeln, das KI-Technologien auch für große und heterogene Teams zielsicher einsetzbar macht.
„Als Technologieregion mit langer Tradition sowohl in den Ingenieurswissenschaften als auch in der Informatik bietet der Standort Karlsruhe optimale Voraussetzungen für das Kompetenzzentrum“, betont Beyerer. Mit dem Testfeld Autonomes Fahren Baden-Württemberg und der gerade entstehenden Karlsruher Forschungsfabrik gebe es zudem die passenden Reallabore für die Anwendungsfelder Mobilität und industrielle Produktion. „Unter diesen Bedingungen könnte KI-Engineering zum Alleinstellungsmerkmal deutscher KI werden.“
Beratung und Lernlabor für KMU
CC-King soll insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die beherrschbare Nutzung von KI-Komponenten ermöglichen. „Auch hoch innovativen Mittelständlern mangelt es oft an KI-Kompetenz. Diese Lücke lässt sich schwer schließen, weil KI-Experten rar und zudem mit den typischen Anwendungsdomänen in der Regel nicht vertraut sind“, so Beyerer. Deshalb biete CC-King Unternehmen konkrete Unterstützung an. Firmen können etwa ganz unbürokratisch sogenannte QuickChecks oder TransferChecks in Anspruch nehmen. Eine Beratungsstelle sowie ein KI-Engineering-Lernlabor für die Schulung von Unternehmensmitarbeitern sind in Aufbau.
Die Beiträge der beteiligten Forschungsinstitutionen
Als federführender Konsortialpartner bringt das Fraunhofer IOSB seine breite informationstechnische Kompetenz sowohl in der industriellen Automatisierungs- und Regelungstechnik als auch in den Bereichen KI und ML in das Kompetenzzentrum ein. „Insbesondere haben wir in den vergangenen drei Jahren im Rahmen des Fraunhofer-internen Leitprojekts ‚ML4P – Machine Learning for Production‘ bereits ein toolgestütztes Vorgehensmodell für KI-Engineering in der industriellen Produktion entwickelt“, erläutert Dr. Julius Pfrommer, Forschungsgruppenleiter am Institut und technisch-wissenschaftlicher Leiter von CC-King. „Es erlaubt uns, planbar und wiederholbar KI-Verfahren zur Anwendung zu bringen. Dabei sind die KI-Algorithmen zentral wichtig, machen aber häufig nur einen Bruchteil der Gesamtlösung aus.“ Ein Fokus liege auf der tiefen Integration vorhandener Werkzeuge aus den Ingenieurdisziplinen mit den KI-Verfahren. „Nur so ist es möglich, dass die KI auch in den Bereichen gute Arbeit leistet, wo sie keine oder nur wenig Daten und Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zur Verfügung hat.“ Als Erprobungsumgebung für den KI-Einsatz in der industriellen Produktion baut die Fraunhofer-Gesellschaft zusammen mit dem KIT derzeit die Karlsruher Forschungsfabrik, die 2021 den Betrieb aufnehmen wird.
„Herausforderungen gibt es bei KI- oder ML-basierten Systemen z.B. bei der Plausibilität und der Flexibilität“, sagt Michael Beigl, Professor für Pervasive Computing am KIT. Auch müsse die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen von KI-Systemen verbessert werden, so der Smart-Data-Experte, der die KIT-Aktivitäten innerhalb von CC-King koordiniert. Ein weiteres Forschungsthema sei die Integration von KI-Verfahren und KI-Systemen wie das Smart Data Innovation Lab (SDIL) mit existierenden Modellen, Simulatoren und Expertenwissen aus den Ingenieursdisziplinen.
Dazu gehören etwa das Vorgehensmodell beim KI-Engineering, Assistenzfunktionen zur Wissenserfassung und Optimierung von KI-Komponenten oder die Anwendung von KI- und ML-Verfahren bei beschränkten Ressourcen. Das FZI Forschungszentrum Informatik leitet dieses Arbeitspaket sowie die Anwendungsdomäne „Mobilität“ des Kompetenzzentrums. Darüber hinaus bringt das FZI als Einrichtung für praxisnahen Wissens- und Technologietransfer seine Kompetenz im Bereich der Mobilitätsforschung und der Künstlichen Intelligenz ein, insbesondere zu eingebetteter KI sowie KI-Methoden. Zur Erforschung und Demonstration der im Kompetenzzentrum umzusetzenden KI-Verfahren kann sowohl auf Infrastrukturen des Testfeldes Autonomes Fahren Baden-Württemberg als auch auf die Infrastrukturen des FZI House of Living Labs zurückgegriffen werden.